Literatur
Übersicht
Der HL. Bonifatius
Schillers Religion
Gedichte zur Gottesfrage
Dissertation
Adalbert Stifter
Eigene Gedichte
Bitte links auf die Überschriften klicken,
um den entsprechenden Inhalt anzeigen zu
lassen
Dr. Siegfried Schröer
Bonifatius in der deutschen Literatur
Wenn Bonifatius für Deutschland jene überragende Bedeutung hat, die ihm in verschiedenen Ehrentiteln zugesprochen wird (Burkhard von Fulda: „Apostel der Deutschen“, Ottloh von St. Emmeran/Regensburg: „Vater aller Bewohner Deutschlands“, Professor H. Leo: „Geistiger Vater unseres Volkes“) und das Editorial dieser Publikation mit ihm die Geburtsstunde Europas schlagen sieht, dann verwundert es, daß er in der deutschsprachigen Literatur (im Sinne von Dichtung) kaum eine Rolle spielt. Bei einer Spurensuche wird man gleichwohl an zwei Stellen fündig: in der 1816 und 1818 erschienen Sammlung „Deutsche Sagen“ der Brüder Grimm und in dem Roman „Ingo und Ingraban“ aus dem Romanzyklus „Die Ahnen“ von Gustav Freytag (Leipzig 1872-1880) .
1. Bonifatius in der deutschen Sage
1.1 Allgemeines
Wenn es in einer Erzählung um einen Heiligen bzw. von der Kirche heiliggesprochenen Menschen geht, dessen Leben und Wirken schon längere Zeit zurückliegt, hat man es in der Regel mit einer Legende zu tun. Sie erzählt vom heiligmäßigen Leben und den „wunderbaren“ (d.h. durch Gottes Gnade ermöglichten) Taten eines Menschen, um zu seiner Nachahmung anzuspornen und den christlichen Glauben zu fördern. Die Sage hingegen erzählt von den treibenden Kräften der Geschichte eines Volkes, die sich in Orten und Personen verdichten, von denen eine besondere, anhaltende Wirkung ausgeht. Die Protagonisten werden als Helden bezeichnet, weil sie Außergewöhnliches geleistet, sich durch Mut, Tapferkeit und Klugheit ausgezeichnet haben. Insofern ist es bemerkenswert, daß die Brüder Grimm „Erzählungen“ in ihre Sagensammlung aufnehmen, in denen Bonifatius als Held auftritt, indem er heidnische Kultstätten durch christliche ersetzt. Offensichtlich wissen sie und weiß das Volk, in dem diese Sagen erzählt und weitererzählt werden, die Bedeutung des Missionars und Kirchenreformers für die eigene Geschichte noch zu würdigen, jedenfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Was ansonsten die maßgebliche Literatur der Zeit nicht oder nicht mehr zur Kenntnis nimmt, ist demnach in der Volkspoesie im Sinne Herders, Brentanos, Arnims und der Brüder Grimm noch lebendig.
1.2 Die Bonifatius-Sagen in der Grimm’schen Sammlung
Die Brüder Grimm haben zwei Sagen in den ersten Teil ihrer Sammlung, der ortsbezogene Sagen enthält, aufgenommen: „Der Hülfenberg“ (Nr. 182) und „Der heilige Winfried“ (Nr. 203).
Beim Hülfenberg (Hülfensberg), auch Stuffensberg (Stuffenberg) genannt, handelt es sich um einen Berg auf dem thüringischen Eichsfeld, auf dem nach einer alten Tradition Bonifatius während seiner Missionstätigkeit in Thüringen eine heidnische Kultstätte in eine christliche umgewandelt hat. Geschichtlich nachweisen lassen sich seit 1351 eine Pfarrstelle „St. Salvator auf dem Stuffenberg“ und eine Wallfahrt zum „heiligen Erlöser“. In der Folgezeit bekommt der Berg deshalb den Namen „Berg des heiligen Erlösers“ („Mons sancti Salvatoris“) oder „St. Gehülfensberg“. Die Betreuung der ständig zunehmenden Wallfahrt wird 1357 den Zisterzienserinnen von Anrode im Luhnetal übertragen. Verehrt wird in der 1367 geweihten gotischen Kirche ein romanisches Kreuz aus dem 12. Jahrhundert, die sogenannte „Heilige Hülfe“. Nach zeitweiligem Niedergang der Wallfahrt im 16. und 17. Jahrhundert hat diese ihre alte Bedeutung wiedererlangt und erfreut sich bis heute großer Beliebtheit. Die Betreuung liegt seit 1860 in den Händen der Franziskaner.
Die Sage erzählt, daß der heilige Bonifaz auf dem Berg eine Kapelle habe bauen lassen und der Teufel versucht habe, den Bau zu zerstören, was ihm aber nicht gelungen sei. Deshalb, so die Sage, „ergrimmte er und fuhr aus, oben durch den Giebel, und das Loch, das er da gemacht, ist bis auf den heutigen Tag zu sehen und kann nimmer zugebaut werden. Auch ist er inwendig in den Berg gefahren und suchte die Kirche zu zertrümmern, es war aber eitel und vergebens. Es soll noch ein dem Abgott heiliger Eichenbaum in die Kapelle eingemauert sein. Das Loch, worin er verschwand, nennt man das Stuffensloch (wie den ganzen Berg auch Stuffensberg), und es soll zuzeiten daraus dampfen und Nebel aufsteigen.“ Ohne Zweifel beruht diese Sage auf der Wirkmächtigkeit des hl. Bonifatius, der sich durch keine Widrigkeit und keine feindliche (teuflische, höllische) Macht davon hat abhalten lassen, an heidnischen Kultstätten Kirchen zu bauen. Die Sage soll die große Bedeutung des Wallfahrtsortes begründen und hervorheben. Daß eine Eiche mit verbaut worden sei, weist auf die bekannte Bonifatius-Legende von der Zerstörung der Donar-Eiche hin, aus deren Holz der Missionar eine Kapelle habe bauen lassen.
Die Sage „Der heilige Winfried“ ist auf dem Christenberg bei Münchhausen im Kreis Marburg-Biedenkopf lokalisiert, auf dem ein Kloster als Dependance von Amöneburg für die Christianisierung des oberen Lahngaus und des Siegerlandes eine entscheidende Rolle gespielt hat. Der Name Münchhausen (früher Munichehusen bzw. Monchehusen) erinnert noch an die Mönche und das Kloster auf dem nahen Berg, zu dem die Bewohner des Dorfes eine enge Beziehung hatten und noch haben, so daß sie bis heute dort ihre Toten begraben. Die unmittelbare Erinnerung an den Missionar findet sich in der noch heute so genannten „Bonifatius-Trappe“, einer wie ein Fußabdruck aussehenden Vertiefung im felsigen Boden nahe der Martinskirche. Die Sage erzählt, Bonifatius habe „vor heiligem Eifer auf den Boden stampfend“ gesagt: „So gewiß sich mein Fuß in den Stein drückt, so gewiß will ich die Heiden bekehren.“ Damit sollen offensichtlich die Entschiedenheit, mit der der Missionar auftrat, ebenso wie die nicht ausgebliebene Wirkung seiner Tätigkeit in Erinnerung gehalten werden. Nach der Sage verfährt Bonifatius auch hier ähnlich, wie die Legende von der Fällung der Donar-Eiche bei Geismar erzählt: Er zerstört ein heidnisches Heiligtum und läßt an dessen Stelle eine Kirche bauen. Ein Nachfolgebau ist die bis heute erhaltene romanische Kirche aus dem 10./11. Jahrhundert, die 1529 einen gotischen Chor erhielt. Die Außenkanzel aus dem 13. Jahrhundert weist darauf hin, daß der Christenberg (bis zur Einführung der Reformation 1527) auch ein bedeutender Wallfahrtsort war. Selbst der Name wird in der Sage auf den Heiligen zurückgeführt: Danach habe er den bis dahin so genannten „Castorberg“ (geschichtlich als Cesterberg nachgewisen) in „Christenberg“ umbenannt, wobei er das C im Namen habe erhalten wollen, was neben der Beibehaltung des Kultortes als Indiz dafür angesehen werden kann, daß mit der Tradition nicht völlig gebrochen werden sollte.
2. Gustav Freytag: „Ingo und Ingraban
2.1 Allgemeines über den Autor und das Werk
Dieser Roman, der den Anfang des Zyklus „Die Ahnen“ bildet, besteht aus zwei Teilen; der erste spielt während der Völkerwanderungszeit im Jahre 357, der zweite während der Herrschaft des fränkischen Hausmeiers Karl Martell im Jahr 734. In zweiten Teil erzählt Gustav Freytag vom Wirken des Missionsbischofs Bonifatius in der fränkischen Grenzmark Thüringen. Historischer Hintergrund ist die Gründung des Klosters Ohrdruf und des Bistums Erfurt. Mit dem Romanzyklus „Die Ahnen“ wollte der Autor im Sinne des neu erwachten Nationalgefühls nach der Reichsgründung 1871 dem deutschen Volk und seiner Geschichte ein Denkmal setzen. Der seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts herrschenden Denkweise der Literaten, aber auch breiter Bevölkerungskreise sind das Pathos der bürgerlichen Epoche und die altertümelnde Sprache Freytags völlig fremd. Eine unvoreingenommene Rückschau vermag gleichwohl dem Werk eine Seite abzugewinnen, die einer Rückbesinnung auf die geistigen Wurzeln der europäischen Kultur dienlich ist. In einer Zeit, in der dem Christentum - jedenfalls in Westeuropa - der Grabgesang gesungen und bei der Verfassungsdebatte in der Europäischen Union um die christlichen Wurzeln Europas gestritten wird, kann es zur Selbstvergewisserung der europäischen Völkergemeinschaft beitragen, der Frage nachzugehen, wie Europa christianisiert worden ist und wie aus Heiden Christen wurden. Eben dies ist der Tenor des Romans „Ingo und Ingraban“, genauer des zweiten Teils, dessen Protagonist der Thüringer Landadlige Ingraban, zunächst ein entschiedener Widersacher von Bonifatius, dann sein treuer Gefolgsmann, ist.
2.2 Der Inhalt des Romans
Die Bevölkerung der Grenzmark Thüringen ist - ähnlich wie im westlich angrenzenden Gebiet der Chatten (Hessen) - in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts nur teilweise christianisiert, ohne daß der christliche Glaube schon tiefgreifende Wurzeln geschlagen, noch eine umfassende kirchliche Gestalt und Organisation gefunden hätte. Sowohl im Volk als auch unter den Landadligen gibt es zahlreiche hartnäckige Gegner der „neuen“ Religion, die zunächst von iroschottischen Mönchen und dann von Bonifatius und seinen Gefolgsleuten gepredigt worden ist. Wie Ingraban wehren sich viele Thüringer gegen die Entzauberung der Natur und die damit einhergehende Entthronung ihrer Götter. Andererseits können sie sich der Faszination durch das große Vertrauen, das die Christen zu ihrem Gott haben, nicht entziehen: „Das Gebet der Christen im Wettersturm klingt wie ein Siegeslied über das Toben der Natur.“(S. 219) Viele haben sich aber auch taufen lassen, weil der Christengott offensichtlich auf der Seite der Franken steht, die das Land erobert haben und nun beherrschen. Der Missionar ist sich dieser Problematik wohl bewußt, wenn er gegen den fränkischen Grenzgrafen Gerold, unter dessen Schutz er steht, darauf beharrt, daß das Evangelium nicht mit Gewalt verbreitet werden dürfe. Doch nicht nur politisch und militärisch, sondern auch kulturell zeigen sich die Franken überlegen; vor allem wegen ihrer Schriftkultur und der Bildung, die in den von Bonifatius gegründeten Klosterschulen vermitteltet wird, werden sie von den Thüringern bewundert. Nicht zuletzt fasziniert viele von ihnen die Person des Bonifatius, sein wortgewaltiges und vertrauenerweckendes Auftreten. „Seine Stimme dringt tief in die Herzen“ (S. 313) und vor den Augen der Heiden drängen sich die Christen in die Nähe ihres Bischofs, um von ihm getröstet, gesegnet und gestärkt zu werden, denn „jedem gibt er seine Ehre“ und „weiß sicher wie ein Gott Bescheid, wo andere sich im Zweifel ängstigen“ (S.327f).
Ingraban läßt sich davon nicht beeindrucken, obwohl ihn schon länger Zweifel an seiner Religion beschleichen, da seine Götter gegen sie gerichtete Sakrilegien offensichtlich nicht zu ahnden vermögen, so die Mißachtung von Naturheiligtümern (Eichen und Eschen) durch den Bischof. Die Fronten zwischen Ingraban und Bonifatius sind verhärteter denn je, als es durch die junge Christin Walburg, die von Ingraban geliebt wird und seine Liebe erwidert, und Gottfried, dem engsten Mitarbeiter des Missionars, zu einer entscheidenden Wende kommt. In einem heftigen Streit hat Ingraban Bonifatius mit dem Schwert angegriffen und ist deshalb vom Grenzgrafen und dem Rat der Landadligen gegen den Willen des Bischofs in die Wildnis verbannt worden. Walburg erwirkt seine Begnadigung, nachdem sie sich entschlossen gezeigt hat, ihr Leben mit dem Verbannten in der Wildnis zu teilen. Beide kehren in die bewohnte Region zurück, und bald darauf kommt es zu einem Kampf zwischen Thüringern und Sorben, einem slawischen, noch nicht christianisiertem Volk östlich der Grenzmark. Im Zweikampf mit dem Sorbenhäuptling droht Ingraban ein tödlicher Keulenhieb, als Gottfried dazwischen springt, getötet wird und ihm das Leben rettet. Nachdem es gelungen ist, die Sorben in die Flucht zu schlagen, läßt sich Ingraban taufen und bekennt vor Bonifatius: „Jetzt erkenne ich, daß du in Wahrheit dem Gebot eines großen Gottes folgst, wenn es dir auch bitter und schwer wird. Auch ich glaube an den Gott dieses Jünglings, der aus eigenem Willen für mich gestorben ist, obwohl ich sein Feind war. Denn solche Liebe ist das größte Heldentum auf Erden.“ (S. 385) Daß Ingraban aus innerer Überzeugung Christ geworden ist, zeigt sich darin, daß er nun zum treuen Gefolgsmann von Bonifatius wird und ihn auf seiner Missionsreise nach Friesland begleitet. Dort wird er zusammen mit seinem Bischof und anderen Gefolgsleuten ermordet.
2.3 Würdigung
Das Bemerkenswerteste an diesem Roman ist m.E., wie Gustav Freytag die Motive für die Bekehrung zum Christentum darstellt. Überragende Bedeutung hat dabei die Persönlichkeit des hl. Bonifatius. Nicht weniger bedeutsam ist die politische und militärische Macht der Franken, die die christlichen Missionare auf ihrer Seite haben. Beides bleibt bei Ingraban ohne nennenswerte Wirkung, und er hält am Glauben seiner Ahnen fest, bis ihm ein Christ - Gottfried - das Leben rettet, wenn auch seiner Bekehrung durch die Liebe Walburgs und die Mitwirkung von Bonifatius bei seiner Begnadigung der Boden schon bereitet ist. Wenn der Protagonist des Romans sich nicht durch politische Macht, sondern durch erfahrene Liebe überzeugen läßt, so kann Gustavs Freytags Bekehrungsgeschichte als Anfrage verstanden werden, ob die Missionierung unter dem Schutz und im Interesse einer politischen Macht wie des Frankenreichs nicht oft zu oberflächlich blieb und viele sich nur deshalb haben taufen lassen, weil es politisch opportun war. Diese Frage muß man wohl als ungeschichtlich im Hinblick auf den von vielen Christen authentisch gelebten Glauben und auf die großen kulturellen Leistungen des Christentums relativieren; ausweichen kann man ihr nicht, wenn heute nach der Trennung von Kirche und Staat von der Neu-Evangelisierung Europas gesprochen wird, das in weiten Teilen wieder „Missionsland“ geworden ist. Das enge Verhältnis zwischen weltlicher Macht und christlicher Kirche, das prägend wurde für die Geschichte des Mittelalters in Europa, warf für die Christianisierung erhebliche Probleme auf und brachte eine Gefährdung der Glaubwürdigkeit der christlichen Glaubensverkündigung mit sich, deren Folgen in der Neuzeit deutlich in Erscheinung traten. Ohne die Absicherung durch den Staat muß die Kirche bei ihrer Verkündigung heute mehr denn je auf das gelebte Zeugnis und die persönliche Glaubensentscheidung setzen und auch in einer Diasporasituation auf die Sauerteigwirkung des christlichen Glaubens vertrauen. Das Zeugnis gelebter Nächstenliebe, wie sie Gustav Freytag am Beispiel von Bonifatius, Walburg und Gottfried darstellt, einer Liebe, die in einer solidarischen Gemeinschaft konkret wird und in letzter Konsequenz auch den Feind bzw. den feindlich gesinnten Mitmenschen nicht ausschließt, bildet am ehestens eine verläßliche Grundlage für einen tief verwurzelten christlichen Glauben. Anders gesagt: nur die glaubwürdige Nachfolge Jesu Christi, in dem sich nach christlicher Überzeugung der menschenfreundliche, gerechte, barmherzige und vorbehaltlos liebende Gott endgültig geoffenbart hat, kann Heiden zu Christen werden lassen.
Man kann den Roman von Gustav Freytag sicher mit guten Gründen als idealisierend abtun. Er bleibt aber ein bemerkenswertes und lesenswertes Beispiel für die geistige Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Volkes und seiner religiösen Tradition, zu der das Bonifatius-Jubiläum erneut Anlaß gibt.
Dr. Siegfried Schröer
Friedrich von Schillers Religion
1. Religion und Glaube in Schillers Werk
1.1 Das Göttliche als Idee
Die beiden klassischen Dramen „Maria Stuart“ und „Die Jungfrau von Orleans“, in denen Friedrich von Schiller (1759 – 1805) christliche, ja spezifisch katholische „Stoffe“ bearbeitet hat, legen die Frage nahe, zu welchem Glauben bzw. welcher Religion sich der Dichter bekennt. Immerhin macht er in dem einen Drama eine überzeugte Katholikin zur Heldin, die ihre willkürliche Hinrichtung als Sühne für die Mitschuld an der Ermordung ihres Mannes auf sich nimmt, nachdem sie gebeichtet und kommuniziert hat; in dem anderen Drama ist die Heldin eine junge Frau, die durch die Stimmen von Heiligen den göttlichen Sendungsauftrag erhält, ihr Heimatland Frankreich gegen England zu verteidigen.
In dem Distichon „Mein Glaube“ von 1797 (Schiller-Werkausgabe S. 307) gibt er selbst die Antwort: „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, / Die du mir nennst! >Und warum keine?< Aus Religion.“ Der Dichter unterscheidet offensichtlich zwischen den Erscheinungsformen der Religion in den Religionen und der eigentlichen, sozusagen hinter bzw. unter den Erscheinungsformen liegenden Religion und bestätigt dies in der Vorrede zur „Braut von Messina“ (a.a.O.,II, S. 823): „Unter der Hülle aller Religionen liegt die Religion selbst.“
Diese eigentliche Religion entspricht seinem persönlichen Glauben, wie die Überschrift des Distichons nahe legt. Zwecks Zuspitzung der Aussage wählt er im Distichon aus Gründen der sprachlichen Gestaltung zweimal dasselbe Wort für verschiedene Sachverhalte. Er nimmt also, obwohl er sich zu keiner benennbaren Religion (im Sinne einer Konfession oder Kirche) bekennt, für sich in Anspruch, ein religiöser bzw. glaubender Mensch zu sein.
Doch wie versteht er diesen Glauben konkret? Eine Antwort findet sich ebenfalls in der Vorrede zur „Braut von Messina“; dort bezeichnet Schiller die „Religion selbst“ als „Idee eines Göttlichen“. Hier zeigt sich bereits die Differenz zwischen Schillers Glaube und dem Glauben an Gott am christlichen Sinne. Die „Idee eines Göttlichen“ kann einem christlich Glaubenden nicht genügen, ist Gott doch für ihn ein „Du“, der liebende Vatergott, der sich in seinem Sohn Jesus Christus mit einem menschlichen Antlitz offenbart. Der junge Schiller kennt diesen Vatergott noch, wenn er in der „Ode an die Freude“, die in seinem 25. Lebensjahr in Leipzig entsteht, dichtet: „Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen.“ Das klingt aber bereits wie eine Beschwörung, aus der man die aufkommenden Zweifel heraushört, und rückt den Vatergott in kosmische Fernen.
Für den späteren Schiller ist das Göttliche, auch wenn er das Wort „Gott“ verwendet, „ein heiliger Wille“, eine „höchster Gedanke“, es ist die Welt des Geistes, der schöpferischen Willenskraft, wie er sie in dem Gedicht „Die Worte des Glaubens“ versteht. Den Worten des Glaubens stellt er in einem anderen Gedicht „die Wortes des Wahns“ gegenüber. Die Worte des Glaubens aber sind „Freiheit“, „Tugend“ und „Gott“, die Worte des Wahns „die goldene Zeit“, „das buhlende Glück“ und „der irdische Verstand“.
DIE WORTE DES GLAUBENS
Drei Worte nenn’ ich euch, inhaltsschwer,
Sie gehen von Mund zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur gibt davon Kunde.
Dem Menschen ist aller Wert geraubt,
Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd’ er in Ketten geboren,
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Missbrauch rasender Toren;
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben,
Und sollt’ er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben;
Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke,
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke;
Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
Die drei Worte bewahret euch, inhaltsschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde,
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Inneres gibt davon Kunde;
Dem Menschen ist nimmer sein Wert geraubt,
So lang’ er noch an die drei Worte glaubt.
Wenn auch im Sinne der Steigerung „Gott“ bzw. der göttliche Geist an höchster Stelle steht, so sind doch die Freiheit des (menschlichen) Geistes und die dem Menschen mögliche und von ihm zu übende Tugend ebenso tragende Fundamente für die Würde bzw. den Wert des Menschen. Alle drei Fundamente aber „stammen nicht von außen her, das Herz / euer Inneres nur gibt davon Kunde“, wie es in der ersten und der letzten Strophe heißt. Das muß wohl als Absage an eine – im biblischen Sinne – Offenbarung „von außen“ verstanden werden. „Gott“ wird sozusagen entthront, wenn Schiller an anderer Stelle schreibt: „Nehmt die Gottheit auf in euren Willen, / und sie steigt von ihrem Weltenthron“. In diesem Sinne weicht er in seinem Drama „Die Jungfrau von Orleans“ von den historischen Fakten ab, indem er im letzten Akt Johanna ihre Ketten zerreißen und sich ohne eine himmlischen Auftrag in die Schlacht stürzen läßt, die siegreich ausgeht, in der sie selbst aber tödlich verwundet wird. In einem Brief an Goethe vom 3. April 1801 erklärt Schiller diese Abweichung: „Weil meine Heldin auf sich allein steht, und im Unglück von den Göttern desertiert ist, so zeigt sich ihre Selbstständigkeit und ihr Charakteranspruch.“ Hier ist der Dichter ein Kind der Aufklärung, die die geistige und sittliche Autonomie des Menschen propagiert. Er steht damit in einer langen Reihe von Dichtern und Schriftstellern in der europäischen Geistesgeschichte, so daß Curt Hohoff („Was ist christliche Literatur?“, Freiburg 1966, S. 13) feststellen kann, „daß sich die europäischen Literaturen in der Aufklärung vom Christentum gelöst haben.“ Nach Hohoff war Kierkegaard der erste, der nach dem „euphorischen Zwischenspiel der Romantik“ als Theologe konstatierte, „daß die Verbindung zwischen Religion und Literatur abgerissen war.“ Die Gründe für dieses Zerwürfnis sind vielfältiger Natur; sie hängen aber wohl alle mit der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte und ihren Emanzipationsbewegungen zusammen, die sich zunächst gegen die verfaßte Kirche, dann aber auch gegen die als unantastbar geltende letztgültige Offenbarung eines transzendenten Gottes richten, eine Offenbarung, die nach Auffassung vieler Schriftsteller von den Theologen zu wenig glaubwürdig, aber andererseits allzu vollmundig und selbstsicher verkündet wird.
1.2 Die ästhetische Religion
Sein Glaube an die dem Menschen eigene Geisteskraft des freien Willens ist für Schiller aber auch die Basis für sein dichterisches Schaffen. Der letzte Abschnitt der Vorrede zur „Braut von Messina“, aus dem oben schon zitiert wurde, lautet vollständig:
„Eine andere Freiheit, die ich mir erlaubt, möchte schwerer zu rechtfertigen sein. Ich habe die christliche Religion und die griechische Götterlehre vermischt angewendet, ja, selbst an den maurischen Aberglauben erinnert. Aber der Schauplatz der Handlung ist Messina, wo diese drei Religionen teils lebendig, teils in Denkmälern fortwirken und zu den Sinnen sprechen. Und ich halte es für ein Recht der Poesie, die verschiedenen Religionen als kollektives Ganzes für die Einbildungskraft zu behandeln, in welchem alles, was einen eigenen Charakter trägt, eine eigene Empfindungsweise ausdrückt, seine Stelle findet. Unter der Hülle der Religionen liegt die Religion selbst, die Idee eines Göttlichen, und es muß dem Dichter erlaubt sein, dieses auszusprechen, in welcher Form er es jedes Mal am bequemsten und treffendsten findet.“
Abgesehen davon, daß diese Sätze einerseits an Lessings „Nathan der Weise“ erinnern, daß andererseits die Bezeichnung der drei Religionen (christliche Religion, griechische Götterlehre, maurischer Aberglaube) eine gewisse Präferenz der christlichen erkennen läßt, ist unüberhörbar, daß für Schiller die Poesie die eigentliche Religion ist. Der Dichter ist sozusagen der Souverän im Reich des Geistes, der schöpferische und formende Gestalter der geistigen Welt, zu deren Elementen auch die Religion und ihre unterschiedlichen Ausprägungen in den Religionen gehören.
Insoweit ist Rüdiger Safranski („Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus“, S. 479) zuzustimmen, wenn er das oben zitierte Distichon und die Sätze aus der Vorrede zur „Braut von Messina“ mit den Worten kommentiert: “Diese Religion, die alle übrigen relativiert, ist die ästhetische. Sie ist formbewußt und schafft Bilder, glaubt aber nicht an die absolute Wahrheit der Bilder.“
Diese ästhetische Religion findet ihren Ausdruck beispielsweise in dem Gedicht „Die Teilung der Erde“. Darin tritt der Poet sozusagen an die Stelle des Propheten bzw. wird der Poet zum Propheten:
DIE TEILUNG DER ERDE
Nehmt hin die Welt! Rief Zeus von seinen Höhen
Den Menschen zu. Nehmt, sie soll euer sein!
Euch schenk’ ich sie zum Erb’ und ew’gen Leben –
Doch teilt euch brüderlich darein.
Da eilt, was Hände hat, sich einzurichten,
Es regte sich geschäftig jung und alt.
Der Ackermann griff nach des Feldes Früchten.
Der Junker birschte durch den Wald.
Der Kaufmann nimmt, was seine Speicher fassen.
Der Abt wählt sich den edlen Firnewein,
Der König sperrt die Brücken und die Straßen
Und sprach: der Zehente sei mein.
Ganz spät, nachdem die Teilung längst geschehen,
Naht der Poet, er kam aus weiter Fern’ –
Ach! Da war überall nichts mehr zu sehen,
Und alles hatte seinen Herrn
Weh mir! So soll denn ich allein von allen
Vergessen sein, ich, dein getreuster Sohn?
So ließ er laut der Klage Ruf erschallen
Und warf sich hin vor Jovis Thron.
Wenn du im Land der Träume dich verweilet,
Versetzt der Gott, so hadre nicht mit mir.
Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?
Ich war, sprach der Poet, bei dir.
Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr –
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
Berauscht, das Irdische verlor!
Was tun? spricht Zeus; die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben –
So oft du kommst, er soll dir offen sein.
Der Göttername Zeus mag in diesem Gedicht austauschbar sein wie auch jedes Götterbild - der Poet sieht sich selbstbewußt als Teilhaber an der Welt des Göttlichen, des Himmlischen, erhoben über das Irdische, das nur als Stoff für die dichterische Gestaltung dienen kann.
Ähnlich, wenn auch vor einem christlichen Hintergrund, sieht es Benno von Wiese, der Altmeister der Germanistik, wenn er dem Dichter zutraut, daß er Gültiges von einer wie auch immer gearteten göttlichen Wahrheit mitteilen kann: „Warum sollte Gott nur die Apostel, die Dichter hingegen weit vorsichtiger inspiriert haben? <…> Warum sollte Gott nicht auch durch die Dichter immer wieder neu und immer wieder anders zu uns sprechen?“ („Gedanken zur Dichtung unter den Aspekten von Häresie und Utopie“, S. 16) Und der Schweizer Dichter-Pfarrer Kurt Marti noch prägnanter: „Vielleicht hält Gott sich einige Dichter, damit jene heilige Unberechenbarkeit erhalten bleibt, die den Theologen und Pfarrern abhanden gekommen zu sein scheint.“ („Zärtlichkeit und Schmerz“, S.16)
2 Schiller – ein Atheist?
Schwerlich lassen sich Schillers Auffassungen mit christlichen Vorstellungen vereinbaren. Nicht ganz abwegig scheint zu sein, daß man ihn als den „ersten wirklichen Atheisten“ (Vgl. Arnold Stötzel in: Heute in Kirche und Welt, Blätter zur Unterscheidung des Christlichen, Bad Tölz Juni 2005) bezeichnet hat: Nach Rüdiger Safranski jedenfalls war Schiller, als er seine klassischen Dramen schrieb, kein religiöser Mensch im Sinne der kirchlichen Orthodoxie mehr, weder einer protestantischen noch einer katholischen: „Er glaubte nicht an den Gott der Bibel, nicht an die erlösende Wirkung von Christi Opfertod, nicht an die Auferstehung des Leibes und der Seele, nicht an die göttliche Weltschöpfung und das endzeitliche Weltgericht, nicht an Himmel und Hölle, nicht an die von der Kirche gespendeten Sakramente.“ Aufgewachsen in einer protestantischen Familie, in der die Mutter piestistisch geprägt war, der Vater die Religion als Teil eines bürgerlichen Pflichtenkanons ansah, bleibt er äußerlich seiner Kirche verbunden; nach ihren Regeln heiratet er und läßt er seine Kinder taufen. Aber seit seinem zwanzigsten Lebensjahr entfernt er sich in seinem Denken immer weiter von seiner christlichen Herkunft.
Wird man Schiller gerecht, wenn man ihn mit dem Etikett „Atheist“ versieht? „Atheisten“ nannte man im alten Rom auch die frühen Christen, weil sie sich weigerten, vor den Götterbildern und vor allem den Standbildern der zu Göttern erhobenen Kaiser Opfer darzubringen. Man sollte also mit solchen Etiketten vorsichtig sein und Schiller vielmehr als Gottsucher verstehen, der mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Poesie dem großen – für uns Menschen vielleicht allzu großen – Wort „Gott“ Sinn und Inhalt zu geben versucht bzw. – um noch einmal Rüdiger Safranski zu folgen – „der Transzendenz ein bestimmtes Gesicht zu geben“. Aber, so weiter Safranski „diese Gesichter dürfen nicht zur Fratze werden, und genau darin sah Schiller eine Gefahr. Unter der Voraussetzung der Gefahr solcher Verdinglichung war es für ihn kein Problem, wenn der Ort der Transzendenz letztlich leer blieb.“ (a.a.O.)
3 Christlicher Glaube im Dialog mit Schiller
Ist Schiller für den christlich Glaubenden nicht mehr interessant und bedeutsam, weil man ihn nicht als Kronzeugen für den eigenen Glauben in Anspruch nehmen kann und den eigenen Glauben bei ihm nicht bestätigt findet?
Keineswegs! Wenn Thomas Mann in seiner berühmten Schiller-Rede 1955 sagt: „Unsere Zeit braucht das Vitamin Schiller.“, dann gilt das auch für die Christen unserer Zeit. In einer Zeit der Gotteskrise (J.B. Metz) und des Booms einer „Religion ohne Gott“ ist die Rückbesinnung auf die anfänglichen Gottesbegegnungen des Volkes Israel unerläßlich. Und wenn Rüdiger Safranski in dem schon benannten Zusammenhang schreibt: „Eine leere Transzendenz, die zur schöpferischen Gestaltung anregt, erfüllt für ihn (Schiller) ironischerweise noch am besten das alte Gebot: >Du sollst dir kein Bild machen!<“, so wird damit an eine Glaubensweisheit erinnert, die – allerdings ohne Ironie – zum Grundbestand jüdisch-christlicher Gottesrede gezählt werden muß: Abraham wird von einem ihm noch fremden Gott in ein ihm unbekanntes Land geschickt, und Mose erhält auf die Frage nach dem Gottesnamen die für ihn schwer zu deutende Antwort: „Ich bin der, der da sein wird und bei dir sein wird, wohin immer du gehst.“ In der Wüste (deserta, was die „Verlassene“, die Einsamkeit bedeutet) begegnet dieser Gott auf dem Wege – aber nur dem, der sich auf den Weg gemacht hat. Der Gott Israels entzieht sich jeder „Dingfestmachung“ in Form eines Bildes, eines Begriffs – und eines Namens! Israel vermeidet es, den „Gottesnamen“ JHWH auszusprechen, und im Tempel zu Jerusalem stand kein Götter- bzw. Gottesbild – das Allerheiligste war leer! Und was dem Volk Israel nach der Zerstörung des Tempels blieb, war nur die Thora – Gottes wegweisendes Wort.
Zweifellos gilt für Christen ein anderes Paradigma, seit der unsichtbare Gott, der im „unzugänglichen Licht wohnt“, sich im menschlichen Antlitz Jesu Christi sichtbar zu erkennen gegeben hat. Aber auch dieses Antlitz zeigt sich in unterschiedlichen Ausprägungen. Das Neue Testament kennt wenigstens fünf verschiedene Christusbilder. Und wie schwer tun sich Menschen, auch Christen, ihn in den schmerzverzerrten Gesichtern der Leidenden zu erkennen, wie er es selbst erwartet (Vgl. Mt 25)! Der sich im Gekreuzigten endgültig als vorbehaltlos liebend offenbarende Gott bleibt auch für uns „Heiden-Christen“ eine Herausforderung, wenn nicht eine „Torheit“ (Vgl. 1 Kor 1.23).
Schließlich: Sind Theologen, oder auch wir Christen alle, nicht ständig in Gefahr, genau das zu tun, was wir Schiller vorhalten – nämlich: den lebendigen menschenfreundlichen dreifaltigen Gott zu einer Idee verkommen zu lassen, über die sich endlos spekulieren und streiten läßt, über die sich immer neue Traktate verfassen lassen, statt ihn im Leben überzeugend zu bezeugen? Und können wir Schiller seine ästhetische Religion vorwerfen, wenn die Feier der Sakramente, vor allem der Eucharistie, eine ästhetische Inszenierung ohne Auswirkung auf das Leben bleibt und wenig oder gar nichts zu einer Tischgemeinschaft mit allen Menschen beiträgt?
Wenn wir Schiller in „seiner“ Religion nicht folgen können, so kann sie uns im Schillerjahr jedoch Anlaß genug sein, unseren eigenen Glauben auf den Prüfstand zu stellen. Und das könnte damit beginnen, daß wir seine „Idee“ nicht als etwas nur „Gedachtes“ verstehen, sondern als die durchaus reale Welt des Geistes und seine Ästhetik nicht im Sinne eines „schönen Scheins“, sondern als schöpferische und gestaltende Tätigkeit in der unbegrenzten Welt des Geistes, einer Tätigkeit, mit der der Mensch sein konkretes Sosein im Hier-und-Jetzt überschreitet. Damit hält der Dichter die Transzendenz offen, wie immer sie sich für den Glaubenden füllen mag. Unser nächster Schritt könnte dann sein, daß wir unsere selbstgezimmerten allzu starren Gottesbilder zertrümmern und die Leere der Wüstenerfahrung aushalten, so daß der lebendige Gott wieder überraschend in unser Leben einbrechen und uns neue Wege zur Begegnung mit anderen Menschen eröffnen kann.
Das könnte zugleich unser Beitrag sein zu einem neuen Dialog zwischen Literatur und christlichem Glauben, einem Dialog, der das mißtrauische Schweigen überwindet, aber über den Austausch von Höflichkeiten hinausgeht und sich ohne Scheuklappen der „conditio humana“ stellt. Wenn wir auch der Gleichsetzung von Poesie und Religion nicht zustimmen können bzw. die Religion nicht durch die Poesie ersetzen können, so ist doch der Poesie wie der Kunst allgemein eine Autonomie zuzugestehen, wie es in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ (GS Nr. 53 – 62) des II. Vatikanums geschieht und von Papst Johannes Paul II. 1980 in München bestätigt wurde:
„Auf ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden. Sie gehen darauf aus, die Situation des Menschen in Geschichte und Universum zu erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen zu lassen. … Durch angestrengtes Bemühen soll erreicht werden, daß die Künstler das Bewußtsein haben können, in ihrem Schaffen von der Kirche anerkannt zu sein, und daß sie im Besitz der ihnen zustehenden Freiheit leichter zum Kontakt mit der christlichen Gemeinde kommen.“ (GS Nr. 62)
„Die Welt ist eine eigenständige Wirklichkeit, sie hat ihre Eigengesetzlichkeit. Davon ist auch die Autonomie der Kultur und mit ihr die der Kunst betroffen. Diese Autonomie ist, recht verstanden, kein Protest gegen Gott, oder gegen die Aussagen des christlichen Glaubens; sie ist vielmehr der Ausdruck dessen, daß die Welt Gottes eigene, in die Freiheit entlassene Schöpfung ist, dem Menschen zur Kultur und zur Verantwortung übergeben und anvertraut. Damit ist die Voraussetzung gegeben, daß die Kirche in ein neues Verhältnis zur Kultur und zur Kunst eintritt, in ein Verhältnis der Partnerschaft, der Freiheit und des Dialogs.“ (Johannes Paul II.)
Literatur-Hinweise
1. | Schillers Werke; München, Wien 2004. |
2. | Hohoff, Curt: „Was ist christliche Literatur?“ Freiburg 1966. |
3. | Safranski, Rüdiger: „Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus“; München, Wien 2004. |
4. | von Wiese, Benno: “Gedanken zur Dichtung unter den Aspekten von Häresie und Utopie“ in: Koopmann, Woesler: Literatur und Religion; Freiburg 1984. |
5. | Marti, Kurt: „Zärtlichkeit und Schmerz“; Neuwied und Darmstadt 1979. |
6. | „Gaudium et spes“, Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils, LThK Supp., Freiburg 1968 |
7. | Johannes Paul II.: Seine Reden in Deutschland; München 1980 |
8. | Schröer, Siegfried: „Literatur und christlicher Glaube – ein spannungsreiches Verhältnis“ in: ders.: „Jugendliteratur und christliche Erlösungshoffnung“; Essen 2001 |
Dr. Siegfried Schröer
„Gedichte zur Gottesfrage“ von Georg Langenhorst - Rezension -
Die von Georg Langenhorst[1] vorgestellten, interpretierten und didaktisch erschlossenen 48 Gedichte stammen vorwiegend von Autoren des 20. Jahrhunderts, die die Gottsuche und Gottessehnsucht, aber ebenso die Gotteskrise und die Gottesleugnung zur Sprache bringen. Zuvor aber wendet Langenhorst den Blick zurück und lässt vier ganz von der christlichen Tradition geprägte Dichter zu Wort kommen: Friedrich Spee von Langenfeld, Paul Gerhardt, Annette von Droste-Hülshoff und Eduard Mörike. Im folgenden Kapitel stellt er Gedichte vor, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind und deren Verfasser sich noch dem „Geist der <christlichen> Tradition“ verpflichtet wissen (Rainer Maria Rilke, Gertrud von le Fort, Jochen Klepper, Reinhold Schneider). Das dritte Kapitel enthält Gedichte aus dem Geist des Judentums, die ebenfalls in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben worden sind, aber – bei aller noch verbliebenen Gottesgewissheit – schon von Zweifel und Klage und einer schmerzhaften Gottesbeziehung gekennzeichnet sind (Else Lasker-Schüler, Karl Wolfskehl, Gertrud Kolmar, Ivan Goll). Diese drei Kapitel fasst Langenhorst unter dem Titel „Grundlegungen“ als ersten Hauptteil seines Buches zusammen.
Den breitesten Raum nehmen die beiden Hauptteile II und III ein, in denen jeweils zwölf Gedichte unter den Titeln „Zeugnisse zerbrechender Gottesgewissheit“ und „Gebet und Gegengebet“ vorgestellt und interpretiert werden.
Im Hauptteil II signalisieren schon die Überschriften der drei Kapitel, dass hier die Gotteskrise der Moderne ohne Scheuklappen angegangen wird: „De Profundis: Christliche Stimmen zwischen Klage und Anklage“ (Texte von Ernst Thrasolt, Christine Lavant, Thomas Bernhard, Ernst Jandl); „Gedichte nach Auschwitz? – Zwischen Stammeln und Verstummen“ (Texte von Nelly Sachs, Paul Celan, Johannes Bobrowski, Marie-Luise Kaschnitz); „Gott ist tot! – Zwischen Verabschiedung und Absage“ (Texte von Bertolt Brecht, Günter Kunert, Ernst Meister, Adolf Endler). Während bei Nelly Sachs und Paul Celan der jüdische und bei Johannes Bobrowski und Marie-Luise Kaschnitz der christliche Hintergrund bei allen Zweifeln noch durchscheinen, rechnet etwa Bertolt Brecht schonungslos mit einem Gott ab, der „ewig und unsichtbar, strahlend und grausam über dem ewigen Plan“ und dem Elend der Menschen thront („Hymne an Gott“) und sieht Günter Kunert in den Menschen hilflose „Götter“, über denen es nichts anderes gibt – erst recht keinen gnädigen und barmherzigen Gott. Das von Langenhorst vorgestellte Gedicht von Günter Kunert sei hier als exemplarisch dokumentiert und gedeutet:
Günter Kunert: Götterdämmerung
Nicht festzuhalten: Dieser Tag, Das Leben.
Gewebe löst sich auf und schwindet hin.
Was auch geschieht, du suchst den Sinn.
Zumindest wirst du danach streben.
Du kannst die Einsicht nicht ertragen:
Aus Dreck und Feuer eine Spottgeburt,
die haltlos durch das Universum tourt,
stets auf der Flucht vor solchen Fragen.
Erkenntnis die: Wir können uns nicht fassen.
Und finden keinen, der uns Göttern gleicht.
Und keinen, der uns Hilfe reicht.
Wir sind uns ohne Gnade überlassen.
Man könnte auch sagen: Wir Menschen sind ein hoffnungsloser und aussichtsloser Fall, sinnlos der Vergänglichkeit preisgegeben in das Universum geworfen, sind selber „Götter“ und doch hilflos; von einem uns gnädig gestimmten Gott „über uns“ kann ohnehin keine Rede sein. Wenn man einen Schritt weitergehen will: Der Götterdämmerung bzw. dem Tod Gottes folgt die Menschendämmerung bzw. der Tod des Menschen, weil diese sinn- und aussichtslose Existenz nicht zu ertragen ist. Auf die Frage, ob Literatur Sinnstiftung und Lebensorientierung anbieten könne, antwortet Kunert selbst: „da muss die Literatur kapitulieren. Ihre Antwort ist: Keine Antwort.“ (G. Kunert: Diesseits des Erinnerns, Aufsätze, München/Wien 1982) Auch die Literaten sind demnach hilflos angesichts der Sinnfrage. Aber als einer von ihnen konfrontiert Kunert seine Leser schonungslos mit der Konsequenz, die sich für den Menschen aus dem Tod Gottes ergibt, und folgt damit der Spur des „tollen Menschen“ in Nietzsches Parabel aus dem Buch „Die fröhliche Wissenschaft“: „Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“ Man mag auch an Martin Walsers Wort denken, dass uns das „Fehlen Gottes wie ein ziehender Zahnschmerz peinigt“.
Im Hauptteil III („Gebet und Gegengebet“) werden einerseits Gedichte präsentiert, die in Gebetsform sich radikal gegen Gott, besonders gegen den Vater-Gott, wenden, andererseits solche, die zögernd und zweifelnd sich ihm wieder zuwenden (Gedichte von Robert Gernhardt, Ernst Jandl, Rose Ausländer, Robert Schneider, Marie-Luise Kaschnitz, Ulla Hahn, Hans Magnus Enzensberger, Rainer Malkowski, Hilde Domin, Kurt Marti, Hans Ulrich Treichel, Ralf Rothmann). Besonders drastisch fällt die – formal dem Glaubensbekenntnis nachgebildete – Absage an Gott bei Ernst Jandl aus, der sich aus einer angstbesetzten religiösen Sozialisation zu befreien sucht und dabei vor Wendungen aus der Fäkalsprache nicht zurückscheut („Ich klebe an Gott“).
Als exemplarisch für eine neue Annäherung an Gott kann das Gedicht „Psalm Meier“ (2000 veröffentlicht) von dem vor allem als Romancier bekannten (wie Jandl aus einem katholischen Milieu stammenden) Ralf Rothmann angesehen werden. Langenhorst ist der Auffassung, dass ein „Autor mit Profil“ ein solches Gedicht vor dreißig Jahren nicht hätte veröffentlichen können, „ohne seinen Ruf als ernsthafter Schriftsteller zu gefährden“. Man hätte ihn damals „überrascht-entsetzt in eine religiöse Schublade gesteckt und vergessen“. Heute aber sei „Religion wieder ein offenes mögliches Thema“, weil die „Kirchen nicht mehr als mögliche Machtinstitutionen wahrgenommen werden, welche diese Texte vereinnahmen könnten und gegen deren Zugriff man sich als Autor schützen müsste.“
Ralf Rothmann: Psalm Meier
Lobe ihn, meine Seele, preise ihn mit aller Kraft,
mit der Faust in der Tasche und dem
Totenschein in der Faust. In deinem kranken Schmuck,
dem Kleid aus Grind und Karzinomen,
lobe den Herrn, bis du am Boden liegst
und nichts mehr tragen kannst. Bis du erfährst,
was uns trägt.
Bedenke, dass du nicht stirbst, meine Seele,
dass alle Winter der Welt in diesem Frühjahr blühen,
versuche nicht, klüger als das Gras zu sein.
Überhöre das Schweigen der Spötter,
lass dich verlachen und lache mit: Die ihren Bauch blähen
mit fetten Reden, deinen Jubel buchstabieren und
den Geist verkünden aus dem Feuilleton der Toten,
sie sind bestenfalls bei Verstand.
Ihr Gott ist ein Gefrierfach.
Vergib dir deine früheren Wege,
dein billiges, dreckiges Schaumstoff-Leben,
verzeih dir schnell, meine Seele, denn niemand wird klagen
am Ende deiner Zeit, kein Engel wird sagen: Karl Meier,
warum bist du nicht Jesus gewesen. Oder wenigstens
ein Märtyrer. Aber jeder Halm, jeder Stein, jeder
berstende Stern fragt dich schon jetzt: Warum bist du nicht
Karl Meier gewesen?
Lobe den Herrn. Lies die verblichene Schrift.
Sieh, wie schön du wirst über den Zeilen, ein Freund
der Lieder. Rufe ihn, meine Seele, ruf ihn jetzt.
In jedem „Wo bist du?“ sind hundert
„Hier“.
Dieses Psalmgedicht kann durchaus irritieren und den Leser fragen lassen, ob der Autor die Aufforderung zum Lobpreis des Herrn ernst meint oder ob das pure Ironie ist. Der Psalmenbeter kennt allerdings die Spannung, die auch dieses Gedicht durchzieht, die Spannung zwischen Lobpreis und Klage, ja Anklage, wie sie charakteristisch ist für den Psalm 22 („Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“), aber auch für die beiden Psalmen 102 und 103 im Zusammenhang gelesen. Da wird nichts beschönigt an der menschlichen Existenz im Elend angesichts des Todes. Da werden auch die Wut und die Empörung nicht verschwiegen. Aber den Spöttern, den Aufgeklärten und Besserwissern, die den Tod vergöttern, wird eine Absage erteilt. Gegen sie wird eine Hoffnung auf Unsterblichkeit aufgeboten, deren Voraussetzung der Glaube an einen lebendigen Gott ist.
Damit liegt das Gedicht Rothmann auf der Linie der folgenden zwölf Gedichte, die Langenhorst unter den Titel stellt: „Texte neuer Annäherung an Gott“. (Gedichte von Reiner Kunze, Eva Zeller, Kurt Marti, Michael Krüger, Richard Exner, Friederike Mayröcker, Christine Busta, Silja Walter und Heinz Piontek.) Das zweite Kapitel dieses IV. Hauptteils des Buches ist überschrieben: „Auf der Suche nach einer neuen Gottesrede“. Diese Suche soll abschließend am Beispiel eines Gedichtes von Christine Busta verdeutlicht werden.
Christine Busta: Schneepsalm
Heute nenn ich Dich Schnee, Du unerschöpflicher Schöpfer vergänglicher Sternkristalle, der die nackten Äcker bekleidet, den Wanderer weglos macht und die ärmlichsten Hütten füllt mit Geborgenheit und Einkehr.
Schwebender Du, der den Bäumen Last wird, der die tapferen Krähen auswirft in die Stille und die Tiere aus den Wäldern den Menschen nahbringt, der die Hilflosen hilfloser macht und die Hilfsbereiten bereiter.
Lautloser, der das Vertrauen entfremdet, wird uns deine Fülle begraben, werden Flüche das Lob ersticken? Morgen vielleicht schon wird uns Dein Weiß blenden und Du beginnst zu tauen. Herrlicher! Dann nenn ich Dich Sonne.
Der Anfang und das Ende dieses Gedichtes lassen erkennen, dass die Dichterin neue Namen für den „Namenlosen“ sucht und sie auf ihre Tragfähigkeit abklopft. Sie scheut sich nicht, den Ungreifbaren und „unerschöpflichen Schöpfer“ mit „Du“ anzureden, aber sie lässt auch die Zweifel zu, ob der „Schwebende“ und „Lautlose“ dem Betenden nicht auch „das Vertrauen entfremdet“ und ob „Flüche <nicht> das Lob ersticken“ könnten. Die von ihr gebrauchten Bilder markieren Annäherungspunkte und wollen nicht alles abdecken, was von Gott noch gedacht werden könnte – und vielleicht auch gesagt. Der Ton der Ehrfurcht aber ist gegen alle Zweifel in diesem Gedicht nicht zu überhören.
Nachbemerkung: Unser Reden, wenn es um Gott geht, sollte nie vergessen machen, dass Gott nie Gegenstand, Objekt sein kann. Deshalb ist die – leider auch mehrfach von Langenhorst gebrauchte – Wendung „Reden über Gott“ fatal, ja unzulässig. Auch die Theologie kann keine „über“ Gott redende Wissenschaft sein, sie kann allenfalls den Glauben an Gott und seine Ausprägungen in Geschichte und Gegenwart zum Gegenstand haben. Allenfalls können wir „von“ Gott reden, „von“ seinem Wort, das uns getroffen hat, „von“ Begegnungen mit ihm, die unser Leben existentiell getroffen haben. Und die Theologie ist dann nichts anderes als das Reflektieren und Systematisieren dessen, was glaubenden Menschen in der Gottesbegegnung widerfährt oder widerfahren ist. Eine bleibende Aufgabe der Theologie ist deshalb auch das geduldige Hören auf poetische Zeugnisse solchen Glaubens und seiner Anfechtung. Dazu hat Langenhorst mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag geleistet.
[1] Georg Langenhorst ist Professor für Katholische Religionspädagogik in Augsburg. Das Buch erschien 2003 in München.
Dr. Siegfried Schröer
Die Widerstandskraft der Hoffnung – Die Darstellung des Bösen und seiner Überwindung / Das christliche Erlösungsmotiv in zeitgenössischen Jugendromanen[1]
Kurzfassung der an der Universität Dortmund im Juni 2000 vorgelegten Dissertation
Die Dissertation soll den Nachweis erbringen, daß Jugendliteratur in Deutschland im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts das Böse und seine Überwindung aus christlicher Sicht und damit das christliche Erlösungsmotiv zur Sprache gebracht hat und bringt, obwohl die modernen westlichen Gesellschaften von einem Transzendenz- und Traditionsverlust gekennzeichnet sind und der christliche Glaube erheblich an gesellschaftlicher Relevanz verloren hat. Dieser Nachweis soll anhand von ausgewählten Jugendromanen geführt werden, die zu unterschiedlichen Zeiten innerhalb des genannten Zeitraums erschienen und von bedeutenden Jugendbuchautoren verfaßt worden sind. Damit soll ein Beitrag zur Jugendbuchforschung in dem Sinne geleistet werden, daß ein wichtiger Themenbereich besser zur Kenntnis genommen und Ausdrucksformen des Christlichen in angemessenerer Weise wahrgenommen werden, als dies im allgemeinen geschieht. Andererseits soll die Theologie, im besonderen in den Bereichen Pastoraltheologie und Religionspädagogik, auf das christliche Traditionspotential in der zeitgenössischen Jugendliteratur aufmerksam gemacht werden.
Da Jugendliteratur nur im gesellschaftlichen und literaturgeschichtlichen Kontext angemessen gewürdigt werden kann, werden im ersten Teil der Arbeit zunächst die gesellschaftliche Situation in bezug auf die Religion im allgemeinen und den christlichen Glauben im besonderen und dann das Verhältnis zwischen Literatur und christlichem Glauben und die Rolle desselben in der modernen Literatur beschrieben. Bevor im zweiten Teil einzelne Werke exemplarisch analysiert werden, wird die Sonderrolle der Jugendliteratur beleuchtet und die vorgenommene Auswahl begründet. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Hoffnungspotential in Jugendbüchern, weil die Lebenshaltung junger Menschen wesentlich von den Erwartungen an die Zukunft und vom Vertrauen in das Leben - auch angesichts von Verlusterfahrungen - geprägt ist. Von der Jugendliteratur darf deshalb - im Vergleich zur modernen Literatur im allgemeinen - ein höheres Maß an Zuversicht bei den Protagonisten erwartet werden. Dass das christliche Erlösungsmotiv in angemessener Weise wahrgenommen und gewürdigt werden kann, setzt eine eingehende Auseinandersetzung mit dem genuin Christlichen und den heutigen - auch sprachlich vermittelten - Zugangsweisen zu christlichen Glaubensinhalten voraus. Aufgezeigt wird die Konvergenz zwischen der bis zur Selbstentäußerung gehenden Offenbarung des göttlichen Wortes in Jesus von Nazaret, und damit der Grundstruktur des Christlichen, und der Sprachbescheidenheit, ja Verschwiegenheit der modernen Literatur. Ausdrücklich reflektiert werden Möglichkeiten und Grenzen der Sprache im allgemeinen und im besonderen in bezug auf die jedes menschliche Sprachvermögen übersteigenden Erfahrungen mit dem Transzendenten. Besonders akzentuiert wird der aus christlicher Sicht unabdingbare Zusammenhang zwischen der Erfahrung des Bösen und seiner Überwindung einerseits und der Gottesfrage bzw. Gottbegegnung andererseits. Daraus leitet sich ein Erlösungsverständnis (also auch ein Verständnis von der Überwindung des Bösen) ab, das eine direkte Korrelation zwischen einem tragfähigen Gottesglauben und gelingenden zwischenmenschlichen Beziehungen beinhaltet.
Die exemplarisch auf das Forschungsziel hin zu analysierenden Jugendromane sind so ausgewählt, daß sowohl unterschiedliche Textsorten als auch verschiedenartige Erzählformen Berücksichtigung finden. Werden einerseits utopische Entwürfe in Märchen- und Sagenform als ‚programmatisch‘ präsentiert (in Werken von Otfried Preußler und Astrid Lindgren), so zeigen realistische Erzählungen mit Stoffen aus Vergangenheit und Gegenwart die tatsächlichen, begrenzten Möglichkeiten der Überwindung des Bösen, wenngleich die Protagonisten geprägt sind von der ‚Widerstandskraft der Hoffnung‘, die mehr oder weniger direkt aus dem christlichen Glauben gespeist wird (in Werken von Willi Fährmann, Irina Korschunow, Gudrun Pausewang und Renate Günzel-Horatz). Diese ausgewählten Werke werden in den Zusammenhang der Entwicklung von Jugendliteratur im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gestellt, wobei das besondere Augenmerk der Erlösungsthematik und der damit verbundenen Gottesfrage gilt.
Die zentrale These lautet: Jugendliteratur bringt auch in Zeiten des Transzendenz- und Traditionsverlustes christliche Glaubensinhalte zur Sprache, und zwar in einer Weise, die den allgemeinen Tendenzen in der modernen Literatur, den neueren Erkenntnissen der theologischen Forschung und der Lebens- und Sprachwelt von Jugendlichen Rechnung trägt. Jugendliteratur leistet damit sowohl einen Beitrag zum Fortgang der Tradition als auch zur Identitätsfindung von Jugendlichen. weiterlesen
[1] Als Buch erschienen unter dem Titel „Jugendliteratur und christliche Erlösungshoffnung“, Verlag ‚Die Blaue Eule’, Essen 2001.
Dr. Siegfried Schröer
Rezension
Bernhard Dieckmann : Verblendung, Volksglaube und Ethos
Eine Studie zu Adalbert Stifters Erzählung „Der beschriebene Tännling“.
Erschienen in der Reihe „Fuldaer Hochschulschriften“ im Echter-Verlag, Würzburg 2014
ISBN: 978-3-429-03725-3
In der von Bernhard Dieckmann verfassten Studie erfährt die von der Literaturkritik vielfach unterschätzte Erzählung von Adalbert Stifter ihre angemessene Würdigung. Dieckmann zeigt, dass diese Erzählung bei aller Zeitgebundenheit der sprachlichen Gestaltung in ihrem Inhalt zeitlos gültig bleibt: Sie demaskiert eine dem schönen Schein verfallene Gesellschaft und ist damit aktueller denn je, wenn man auf den heute herrschenden Körper- und Schönheitskult schaut, der die äußere Erscheinung zum höchsten Wert stilisiert und sich auf dem „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ selbst zelebriert. In der Erzählung steht dafür die adlige Jagdgesellschaft, von der das Volk von Oberplan (Stifters Geburtsort an der oberen Moldau im Böhmerwald) fasziniert ist, sich zugleich aber als Publikum missbrauchen lässt. Nicht anders verhält es sich mit dem heute bis zum Exzess betriebenen Starkult und seinen öffentlichen Inszenierungen. Bei Stifter spielt der damalige (heute durch den Starkult mehr oder weniger ersetzte) Volksglaube in diesem Kontext eine entscheidende Rolle, dessen Ambivalenz Bernhard Dieckmann in dem von ihm gewählten Titel zum Ausdruck bringt: Er kann zur Verblendung des Volkes beitragen, aber andererseits dem Ethos bzw. der Bildung der sittlichen Persönlichkeit dienen, was nach Auffassung des Verfassers bisher zu wenig beachtet worden ist. Bernhard Dieckmann sieht Stifters Erzählung im Spannungsfeld zwischen Tradition und Aufklärung angesiedelt.
Diese Thematik wird in der Erzählung durch die Charakterisierung der drei Protagonisten Hanna, Hanns und Guido und durch deren Schicksal verdichtet: Hanna und Hanns, die beide aus einfachen Verhältnissen stammend zunächst ein Liebespaar sind, werden als sehr unterschiedliche Charaktere gezeichnet. (Hier könnte man, mehr als Bernhard Dieckmann es tut, die zu scharfe kontrastierende Charakterisierung durch Stifter kritisieren.) Während der eher unansehnliche, bescheiden-demütige Holzfäller Hanns mit seinem Leben und seiner Arbeit zufrieden ist und kein Aufsehen um sich macht, strebt die überaus schöne Hanna, darin von ihrer Mutter bestärkt, ehrgeizig nach Höherem, um ihrem sozialen Milieu zu entrinnen. Dieser Charakterzug Hannas tritt besonders zutage, als sie an ihrem Erstbeichttag vor dem Gnadenbild der Gutwasserkapelle in Oberplan ein Bittgebet verrichtet (wie es der Volksfrömmigkeit entspricht) und hinterher mit ihren Gefährtinnen darüber spricht. Auf deren Frage, worum sie gebeten habe, antwortet sie, das Bild habe ihr „etwas sehr Schönes und sehr Ausgezeichnetes“ verheißen. Demgegenüber antwortet Hanns, als er später von Hanna nach seinem Bittgebet gefragt wird, er habe um nichts gebetet, weil ihm nichts fehle.
Bernhard Dieckmann weist besonders darauf hin – und hier zeigt sich wie immer wieder in seiner Studie, wie er Details würdigt, die leicht überlesen werden – dass Hanna vor dem Gnadenbild (einer Pietà) nur Augen hat für dessen schönes, kostbares Gewand, den Schmerz der um ihren gekreuzigten Sohn weinenden Mutter aber gar nicht wahrnimmt – wie Hanns es später tut.
Während eine adlige Jagdgesellschaft im Beisein des Volkes ein öffentliches Fest feiert, steht Hanna zufällig (oder doch nicht so zufällig?) neben dem jungen – ebenfalls als besonders schön bezeichneten – jungen Adligen Guido. Das Volk ist fasziniert („geblendet“) von beider Schönheit und ruft sie – wohl wissend um Hannas Verbindung mit Hanns – als „das schönste Paar“ aus. Guido verliebt sich in Hanna und wirbt um sie. Sie geht sofort auf sein Werben ein, ohne dass Hanns zunächst von ihrer Verbindung erfährt. Für Hanna geht in der Heirat mit Guido ihr tiefster Wunschtraum in Erfüllung; von einer Liebesheirat kann aber wohl kaum die Rede sein, zumal es Guido – Bernhard Dieckmann sieht darin ein typisch mimetisches Verhalten – weniger um Hanna als Person, als vielmehr um ihre Schönheit geht, mit der er sich in seiner Selbstverliebtheit schmücken kann. Es bleibt dann wohl nicht aus, dass Hanna in dieser Ehe nicht glücklich wird, wie der Leser allenfalls andeutungsweise am Schluss der Erzählung erfährt.
Als Hanns von der Untreue Hannas erfährt, bricht für ihn eine Welt zusammen, was in der Erzählung aber nur angedeutet wird und nur an seinem Verhalten ablesbar ist. Er wendet sich in seiner Not an das Gnadenbild in der Gutwasserkapelle. Dorthin begibt er sich, nachdem er seine Axt geschärft hat, schaut bei seinem Gebet sehr bewusst auf die leidende Mutter und ihren am Kreuz gestorbenen Sohn und geht dann über den Kreuzberg zum beschriebenen Tännling, wo – nach seiner Kenntnis – Guido bei der nächsten Jagd seinen Standort haben wird. Dieser Baum steht mit seinen von Menschen in langen Zeiträumen eingekerbten oder eingeritzten Zeichen und Wörtern für menschliche Sehnsüchte und Schicksale. Dort vollzieht sich in Hanns, nachdem er in einer „Erscheinung“ bzw. einem Traumbild das Gnadenbild, das ihn als „inneres“ Bild begleitet, „gesehen“ hat, eine innere Wandlung.
Bernhard Dieckmann zeichnet diesen Weg detailliert nach und sieht in ihm eine Spiegelung des seelischen Prozesses, der sich in Hanns abspielt. Mit Recht weist er darauf hin, dass bei Stifter sehr oft seelische Vorgänge durch äußere Vorgänge verdeutlicht werden, es dabei aber bei Andeutungen bleibt. Der Leser erwartet geradezu zwangsläufig, dass Hanns von Mord- und Rachegedanken erfüllt ist. Dass dieser aber nicht zum Mörder wird und einen inneren Läuterungsprozess durchmacht, ist für Bernhard Dieckmann der Skopus der Erzählung: In der Wahrnehmung des fremden Leids (der Gottesmutter und des Gekreuzigten) vermag er sein eigenes Leid anzunehmen und zu einer sittlichen Reifung zu gelangen, die ihn schließlich auch befähigt, sich der drei unversorgten Kinder seiner verstorbenen Schwester anzunehmen und für sie zu sorgen. Inwieweit dabei auch der Glaube an das stellvertretende erlösende Leiden des Gottessohnes – der christlichen Tradition gemäß – für Stifter (noch) eine Rolle spielt, bleibt offen.
Wie ambivalent der Volksglaube sein und wirken kann, zeigt sich also – so Bernhard Dieckmann – in der Art und Weise, wie Hanns und Hanna sich vor dem Gnadenbild verhalten, wie sie es sehen und deuten. Hier die „wundersüchtige“ und auf die äußere Schönheit des Bildes (vor allem der Kleidung) fixierte Hanna, dort der demütige Hanns, der ein Auge hat für das fremde Leid. Der Ort, an dem Hanns zu Mörder hätte werden können werden, wird nun zum Ort seiner inneren Läuterung und Reifung zur verantwortungsvoll handelnden sittlichen Persönlichkeit. Es liegt auf der Hand, dass viele Zeitgenossen diese Deutung nur schwer nachvollziehen können und Kritiker die innere Wandlung von Hanns als „unmotiviert“ bezeichnen. Bernhard Dieckmann aber hat überzeugend dargestellt, wie bei Stifter Volksglaube bzw. Volksfrömmigkeit sinnstiftend und lebensfördernd sein können, wenn theologisch angemessen damit umgegangen wird, indem der tiefere Sinn der Heiligenverehrung erkannt wird. „Er (Stifter) betont das Recht der Tradition; sie weiß um die bleibende Gefährdung des Menschen durch sich selbst und um die Hilfe der Religion.“ Denkbar wäre hier noch tiefere theologische Begründung („Erlösung durch das Kreuz“?), was aber wohl den Rahmen der Studie gesprengt hätte.
Für Bernhard Dieckmann ist schließlich – dem kann man nur entschieden zustimmen – der erzählte Raum bei Stifter, auch in dieser Erzählung, von herausragender Bedeutung. Wenn vielfach kritisiert worden ist, dass darin im Vergleich zur Handlung die Beschreibungen der Natur und des jeweiligen Lebensraumes überproportional ausführlich seien, so weist Bernhard Dieckmann darauf hin, dass bei Stifter „die Betonung des Raumes dem Vorrang der Tradition entspricht und die Handlung, die erzählt wird, in ihnen wurzeln“ (S. 77). So bilden die Holzfäller eine Gegengesellschaft sowohl zur Dorfgesellschaft als auch zur Jagdgesellschaft. Während diese den Wald ausnutzt für ihr Vergnügen, sind jene Holzfäller im Wald „zu Hause“ und sorgen für eine „nachhaltige“ Bewirtschaftung. Eine Idealisierung des Waldes als heile Welt des Friedens und ungebrochenen Sittlichkeit ist bei Stifter unübersehbar. Nicht von ungefähr sieht Stifter eine innere Verbindung zwischen dem „sanften Gesetz“ in der Natur und dem Sittengesetz. Hier könnte man kritisch fragen – mehr als Bernhard Dieckmann – ob nicht auch die Unterschiede zwischen diesen Gesellschaften, ähnlich wie die Unterschiede zwischen den Protagonisten, die sie repräsentieren, bei Stifter zu scharf gegeneinander konturiert werden und die Gefahr der Schwarz-Weiß-Malerei besteht. Ohne Zweifel will Stifter den moralischen Appell an die Gesellschaft damit verschärfen: „Traut nicht dem schönen Schein in der Menschenwelt!“ Das kann manchem Leser zu direkt erscheinen, zu eindeutig, dieweil Stifter selbst vor allem in bezug auf die Religion einer zu großen Eindeutigkeit abgeneigt ist.
Die Erzählung endet mit einer Wiederbegegnung zwischen Hanns und Hanna, bei der sie sich aber nicht erkennen. Während er die Kinder in einem Wägelchen tiefgebeugt einen Weg entlangzieht, fährt sie (als bleich und blass bezeichnet) in einer Kutsche an ihm vorbei und wirft ein Geldstück als Almosen auf die Straße, das Hanns dann einfassen lässt und dem Gnadenbild als Votivgabe „schenkt“. Nicht von ungefähr stellt Bernhard Dieckmann die Deutung dieser Szene an den Anfang seiner Studie. Die nach seiner Auffassung „sehr subtil gearbeitete“ Erzählung verlangt vom Leser nicht nur eine hohe Aufmerksamkeit für die vielfachen Andeutungen und Anspielungen sondern auch die Bereitschaft, sich selbst in den Protagonisten wieder zu erkennen, besonders in bezug auf die Gefahr, sich auch vom „schönen Schein blenden“ und von vorgefertigten Bildern bestimmen zu lassen.
Weihnachtsbotschaft
Da gab‘s doch mal vor Zeiten,
vor unvordenklich langen Zeiten
die Kunde von dem Krippenkind.
Da sollte doch ein Heiland kommen,
der unsre todgeweihte Welt
zum Leben auferwecken
und Licht ins Dunkel
bringen sollte.
Genaues war nicht zu erfahren,
doch sollte alles anders werden
- so hörte man.
Vor allem Frieden
werde dieses Kind uns bringen,
auf den vergeblich wir gehofft.
Aus unserm alten Weltenhaus
voll Blut und Tod
sollte doch noch – sagte man –
ein Menschenhaus entstehen,
weil jener Heiland-Herr,
wie man ihn nannte,
nichts andres wollte, als
ein Mensch zu sein dem Menschen
und nicht sein Wolf.
Er habe auch die Kunde
von einem Vater aller Menschen
mitgebracht, der voller Güte
seine Kinder liebt und lieben lehrt
durch Gnade statt durch Strafe.
Bis heute hört man dies Gerücht,
das nicht verstummen will.
Sollte
doch etwas
daran
sein?
Aus meinem Gedicht-Band „Weihnachten – quer gedacht“
Verlag „Die Blaue Eule“, Essen 2011
Wissensgesellschaft
wir wissen
noch nicht alles
aber alles
besser
wenn wir auch
mit dem kopf
ins nichts hängen
unsere vorfahren
wussten
immerhin noch
was oben
und was unten ist
wir drehen uns
nur noch
um die eigene achse
und die ist
aus dem lot
Sommerabend
Vergessen macht das tiefe Blau
des Weltalls Tiefe und das Loch,
das in den Schutzschild aus Ozon
wir Menschen unbekümmert rissen.
Vergessen lassen Wolkenberge
den sauren Regen, den sie bergen,
die Todesstrahlen aus dem Kosmos,
der drohend uns umgibt.
Vergessen macht die laue Luft
der Winterstürme Allgewalt,
das Gift, mit dem wir leichter Hand
das Wasser und die Luft geschwängert.
Vergessen lassen Blütenmeere,
was wir der Erde angetan,
die Narben, die wir blind ihr schlugen,
die uns wie eine Mutter wärmt.
Vergessen macht das satte Grün
die Müllgebirge unter unsern Füßen,
das Erbe, das wir unsern Kindern hinterließen:
verseucht, vergiftet und verstrahlt.
Aus meinem Gedichtband „Widersprüche – Einsprüche“;
Verlag Shaker Media Aachen 2012
Internet-Fische
wir tummeln uns
in hellen Scharen
im weitgespannten Netz
ahnungslos wie Fische
schon zappeln wir
im Kescher
der Datenfischer
Online sein
Ich bin online –
Also bin ich.
Bin ich offline,
bin ich nicht(s).
Dann doch lieber
ständig online!
Und wenn mich
niemand kontaktiert –
(wer) bin ich dann?
Weggeschenke
Am Wegrand wächst
so manches Kraut,
das wir noch
niemals angeschaut.
Es gilt als Unkraut
ohne Wert,
bis eines Besseren
wir belehrt.
Auch Menschen
stehn am Wegesrand,
die oftmals bleiben unerkannt,
sind nicht mal
eines Blickes wert;
ein Gruß bleibt
ihnen stolz verwehrt.
Doch manches bleibt
uns so verborgen,
das lindern könnte
unsre Sorgen,
sei es die Heilkraft,
die ein Kraut uns schenkt,
die Weisheit, mit der uns
ein unscheinbarer
Mensch bedenkt.
Aus meinem Gedichtband "Kontraste - Unzeitgemäße Gedanken"
Verlag Shaker Media, Aachen 2016